Vielfalt ist kein Firlefanz!?

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Aus der Praxis der SCHLAU Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität

Ein Gastbeitrag von Lisa Gutowski

Schüler*innen sitzen in einem Stuhlkreis und diskutieren
Hannover, 20.08.2016: Kampagnenshooting für das SCHLAU Netzwerk in der IGS List. Alle Rechte liegen beim SCHLAU Netzwerk. Foto: Michael Wallmüller

„Auf welche Toilette gehst du?“, „Geht ihr Händchen haltend durch die Stadt?“, „Habt ihr euch vor euren Eltern geoutet?“ – Diese Fragen bekommen SCHLAU Teamer_innen regelmäßig in ihren Workshops gestellt, die SCHLAU im Rahmen seiner Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung für Schulklassen anbietet. Das vor allem für Bildungseinrichtungen konzipierte Angebot ermöglicht Schüler_innen, mit jungen lesbischen, schwulen, bi, trans*, inter und queeren (LSBT*IQ) Menschen ins Gespräch zu kommen. Im Fokus stehen dabei die Teamer_innen, denn sie sprechen vor Ort über ihre Lebenswirklichkeiten, das eigene Coming-out, eigene Diskriminierungserfahrungen sowie Vorurteile und Rollenbilder.

Wie viele andere Bereiche des Alltags ist auch die Schule ein heteronormativ geprägter Raum, in dem LSBTIQ*-Jugendliche Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Das bestätigte die umfangreiche Studie „Coming-out – und dann…?!“ des Deutschen Jugendinstituts: „Für viele LSBT* Jugendliche sind Schulen […] problembelastete Umfelder. […] Wenn möglich, wird ein Coming-out während der Schulzeit bzw. an der Schule von jungen LSBT* Personen aus Sorge vor Ausgrenzung und Mobbing häufig vermieden“ (Krell/Oldemeier, 2015: 21). In einem solchen Schulklima sind sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung nicht für alle Jugendlichen gewährleistet. Dabei sichert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte allen Menschen die universellen und unveräußerlichen Rechte auf Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit zu. Sie begründen damit auch, dass „[…] Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein muss“ (Vereinte Nationen, 2011). Auch die Kultusministerkonferenz hat zwischen 1980 und 2018 mehrfach die Implementierung von Menschenrechtsbildung in der Schule empfohlen (Kultusministerkonferenz, 2018). Somit stehen die Schulen sowie Kommunen als Schulträger*innen in der Verantwortung, sich mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auseinanderzusetzen, um allen Schüler*innen gleichermaßen diskriminierungsfreie Teilhabe an Bildung zu ermöglichen. SCHLAU begegnet dieser Leerstelle mit dem Angebot von menschenrechtsbasierter, normkritischer sowie diversitätsreflektierender Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit. Im Fokus steht dabei die Kontakthypothese nach Gordon Allport (1954): Mittels abwechslungsreicher Methoden ermöglicht ein SCHLAU Workshop, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt niedrigschwellig und altersgerecht zu thematisieren. Der (positive) Kontakt mit individuellen Vertreter_innen kann gruppenbezogene menschenfeindliche Einstellungen und Handlungen positiv beeinflussen (Pettigrew/Tropp, 2006, Raabe/Beelmann, 2011). Denn durch das Kennenlernen von unterschiedlichen Perspektiven und Einfühlungsvermögen wird es möglich, Vorurteile und Klischees zu erkennen und zu reflektieren. So kann für die Lebenssituation junger lesbischer, schwuler, bisexueller, trans*, inter* und queerer Menschen sensibilisiert werden.

Vom Harz bis an die Nordsee – LSBT*IQ Feindlichkeit begegnen

Der Ansatz von SCHLAU ist nicht neu: Erste Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekte gründeten sich in den 1990er Jahren in ganz Deutschland. Mittlerweile hat sich viel getan – die Akzeptanz von queeren Menschen hat insgesamt zugenommen. Heute ist sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nicht länger nur eine Aufgabe des Biologieunterrichts oder der Sexualaufklärung. Vielmehr ist queere Bildungsarbeit im Schulalltag interdisziplinär von Bedeutung. Methodisch hat sich SCHLAU daher immer stärker auf Menschenrechtsbildung sowie Antidiskriminierungspädagogik fokussiert und damit auch eine Angebotslücke geschlossen. Zentrales Element des SCHLAU Konzeptes ist das biografische Erzählen nach dem Konzept der peer education.  Die Teamer*innen zwischen 18 und 27 Jahren zeigen anhand ihrer erzählten Erfahrungen auf, was strukturelle Diskriminierung ist und machen gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen sichtbar. Das SCHLAU Konzept nimmt dabei bewusst eine intersektionale Perspektive ein, denn viele LSBT*IQ erleben noch aufgrund anderer Formen von Diskriminierung, wie zum Beispiel Rassismus, Klassismus oder Ableismus, gesellschaftliche Benachteiligung.

In Niedersachsen[1] haben sich mittlerweile an neun Standorten Projekte gegründet, die in lokaler Trägerschaft stehen. Mit insgesamt 120 Ehrenamtlichen führen die SCHLAU Lokalprojekte jährlich über 300 Bildungs- und Antidiskriminierungsveranstaltungen in ganz Niedersachsen durch. Somit erreichen die Teamer_innen jährlich über 7000 Jugendliche. Von den neun Lokalprojekten werden sechs Projekte finanziell durch die jeweilige Kommune gefördert, sodass diese Projekte eine hauptamtliche Koordinationsstelle finanzieren können. Dennoch führen die SCHLAU Teamer_innen ihre Arbeit hauptsächlich auf ehrenamtlicher Basis durch. Nach erfolgreichem Auswahlgespräch erhalten sie eine fünftägige Grundqualifizierung und durchlaufen vor ihrem ersten eigenverantwortlichen Einsatz eine längere Hospitationsphase. Dazu ermöglichen regelmäßige Fortbildungsangebote die Weiterbildung zu spezifischen Themenfeldern (z.B. Religionen, Rassismuskritik). Die Arbeit der SCHLAU Projekte wird bundesweit durch die verpflichtenden Qualitätsstandards definiert. In ihnen werden die Ziele und Inhalte der Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit formuliert. Zudem regeln die Standards, welche Voraussetzungen die Teamer_innen mitbringen müssen und wie sie qualifiziert werden. Die Standards sind damit ein zentrales Instrument der Qualitätssicherung.

Mit der Thematisierung in den Schulen nehmen die SCHLAU Teamer_innen Bezug auf die Selbstbestimmung des eigenen Lebensentwurfes. Durch das biografische Gespräch mit den Teamer_innen entsteht eine Begegnungskultur, die nicht durch Abgrenzung und Geschlossenheit, sondern durch gegenseitigen Respekt und Offenheit bestimmt ist. Akzeptanz und Respekt können nicht in erster Linie als theoretische Konzepte gelehrt werden, sondern werden erst durch die Weitergabe und das Erzählen persönlicher Erfahrungen wirklich erfahrbar und lernbar gemacht. Oftmals sind die kommunal organisierten Lokalprojekte für Schulen vor Ort die ersten Ansprechpartner_innen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Die kontinuierlich steigende Nachfrage von Schulen nach SCHLAU Workshops zeigt: Vielfalt ist kein Firlefanz, sondern geht uns auf kommunaler Ebene alle an.

Literatur:

  • Allport, Gordon W. (1954): The nature of prejudice. Cambridge: Addison-Wesley.
  • Kultuministerkonferenz (2018): Menschenrechtsbildung in der Schule. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/1980/1980_12_04-Menschenrechtserziehung.pdf (letzter Zugriff: 25.08.2020).
  • Vereinte Nationen (2011): Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -ausbildung. https://www.un.org/depts/german/gv-66/band1/ar66137.pdf. (letzter Zugriff: 25.08.2020)
  • Oldemeier, Kerstin/Krell, Claudia (2016): „Coming-out – und dann …?!“. München
  • Pettigrew, Thomas F./Tropp, Linda R. (2006): A Meta-Analytic Test of Intergroup Contact Theory. In: Journal of Personality and Social Psychology, 2006, 90 (5), 751–783.
  • Raabe, Tobias/Beelmann, Andreas (2011). Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Prävention und Intervention. In: Deegener, Günther / Körner, Wilhelm (Hrsg.), Aggression und Gewalt im Kindes- und Jugendalter, Weinheim: Beltz.

Über die Autorin

Lisa Gutowski ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt auf Geschlechter- und Diversitätsforschung. Nachdem sie selbst mehrere Jahre ehrenamtlich als SCHLAU Teamerin tätig war, arbeitet sie als Projektkoordination im Bereich der Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit für den Landesverband SCHLAU Niedersachsen.

Zitiervorschlag: Lisa Gutowski (2020): Vielfalt ist kein Firlefanz?! Aus der Praxis der SCHLAU Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. Ein Gastbeitrag, in: Diversität, Teilhabe und Zusammenhalt in der Kommune (Weblog), online: http://vielfalt-kommunal.uni-goettingen.de/index.php/2020/09/01/vielfalt-ist-kein-firlefanz/.


[1] Neben dem niedersächsischen Landesnetzwerk gibt es in vier weiteren Bundesländern SCHLAU Landesnetzwerke (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Schleswig-Holstein).

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